Werke

Nisha

und die Macht der Schatten

»Es ist Zeit, zu gehen!«

Immer wieder hört Katja diesen Satz, wenn sie auf den Schatten trifft. Aufgewachsen im Kinderheim, ist ein altes, handgeschriebenes Buch ihr größter Schatz und die einzige Verbindung zu ihren Eltern. Als ihr sechzehnter Geburtstag näher rückt, beginnt es: Katja wird verfolgt, von einem Schatten. Menschen in ihrer Umgebung verunglücken, verschwinden, sterben. Auch diejenigen, die das Mädchen zu kennen glaubt, führen anscheinend ein Doppelleben.

Nicht nur die Hüter des Lichts treten in ihr Leben, sondern auch die Schattenkrieger. In ihren Träumen trifft sie auf die geheimnisvolle Nisha. Wem kann sie noch vertrauen?

Am Ende muss Katja sich entscheiden – zwischen Licht und Schatten. Oder gibt es für sie doch noch einen anderen Weg …?

Leseprobe

Auszug aus dem Kapitel II

Katja drehte sich weiter im Kreis. Als sie wieder am Ausgangspunkt ankam, zuckte sie erschrocken zusammen. Vor ihr stand ein kleines Mädchen von vielleicht neun Jahren. Ihr Haar war so milchig weiß wie das Licht der Insekten und sie selbst umgab eine strahlende Aura.

»Hallo, ich bin Nisha«, erklärte das Mädchen und legte den Kopf schief. »Du bist Katja.«

Dies kam mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es Katja für einen Moment die Sprache verschlug.

»Woher weißt du das?«, fragte sie nach einer Weile.

Noch immer hielt Nisha den Kopf schief und sah sie mit ihren eisblauen Augen durchdringend an.

»Komm mit«, forderte sie Katja auf.

Hüpfend lief sie tiefer in die Einöde hinein.

Katja wusste nicht wieso, doch sie folgte dem Mädchen, das nun den Weg vor ihnen erhellte.

Nisha führte sie durch die Dornenbüsche. Mit jedem Schritt wippte ihr langes, weißes Haar, das aus reinem Licht zu bestehen schien, auf und ab. Immer dichter drängten sich die Büsche und der Platz dazwischen wurde ständig enger, sodass Katja sich hindurchzwängen musste. Die spitzen Dornen der Zweige stachen durch den Stoff ihres Pyjamas und ritzten ihre Haut auf. Blut färbte den Stoff rot. Nisha hingegen schienen die Dornen nicht zu stören. Fast sah es aus, als würde sie durch die Büsche hindurchgleiten. Gerade so, als wäre sie ein Geist.

Katja lief weiter. Dabei kam es ihr vor, als würden die Dornenbüsche versuchen, sie am Weitergehen zu hindern. Immer öfter blieb sie daran hängen, bis sie schließlich feststeckte. Dann erfasste sie Panik, denn die Äste bewegten sich und zogen sich enger um sie. Katja wollte sie mit ihren Händen abwehren, doch sie konnte sich nicht rühren. Die Ranken schlangen sich allmählich wie eine Spirale um ihren Körper und fesselten sie. Das Atmen fiel ihr immer schwerer. Langsam schwanden ihr die Sinne und Katja drohte, ohnmächtig zu werden. Nicht weit entfernt erkannte sie noch Nishas schwach leuchtende Silhouette. Sie war stehengeblieben und fixierte Katja mit ihren eisblauen Augen.

»Es ist Zeit, zu gehen«, sagte Nisha.

Während sie sprach, veränderte sich ihre Stimme. War sie eben noch hell und klar wie die eines Kindes gewesen, klang sie nun tief und grollend. Katjas Nackenhaare stellten sich auf und sie bekam eine Gänsehaut.

»Was hast du gesagt?«, fragte sie.

Dabei zerrte sie heftig an den Ästen, die sie hielten. Vergebens.

»Es ist Zeit, zu gehen«, wiederholte Nisha. Ihre Stimme wurde noch tiefer.

Plötzlich wand sich ein Ast um Katjas Hals und schnürte ihr die Luft ab. Immer verzweifelter versuchte sie, sich aus der Umklammerung des Dornengestrüpps zu befreien. Doch es war zwecklos. Als sie glaubte, ihren letzten Atemzug getan zu haben, erstrahlte ein gleißend helles Licht, bevor die Welt um sie herum schwarz wurde.